Willkommen zum dritten Teil der Kontemplationen zum Reinigungs-/ReueVers. Zur Orientierung darüber, wo wir uns gerade befinden, hier am Anfang die komplette aktuelle Version des Verses, mit der ich derzeit meditiere:
„Alles Zerstörerische, das wir als Menschheit je in die Welt gebracht haben mit unserem Nicht-Wahrhaben von Vergänglichkeit und AllverbundenSein, mit Gier, Hass, Verblendung, wie wir sie in unserem Tun, unseren Worten und Gedanken verbreiten, und alle Auswirkungen davon erkenne ich an. Ich stelle mich in die Mitverantwortung. Mein Herz öffnet sich dem Leiden, das daraus entstanden ist und täglich neu entsteht. Ich will JETZT, immer mehr, Teil der Lösung sein.“
Im Folgenden nun einige Betrachtungen zu den weiteren Zeilen des ersten Teils:
mit unserem Nicht-Wahrhaben von Vergänglichkeit und AllverbundenSein…
Zunächst war mir – und einigen meiner Gesprächspartnerinnen ebenso – die Lösung von der aus dem Christentum so wohlbekannten Selbstverurteilung wichtig, die meist entweder in Selbstabwertung oder in Flucht vor der Einsicht endet. Das können wir heute nicht mehr gebrauchen, um mit unserer Selbst-Transformation voran zu kommen. Denn was sind die Ursachen von Gier = (immer mehr) haben-wollen, von Ärger = nicht-haben-wollen/ablehnen und Verblendung = nicht-sehen-wollen? Es ist vor allem das nicht-Wahrhaben unserer Sterblichkeit und unseres aufeinander-angewiesen-Seins. Die Ahnung von beidem führt zu Anhaften/Festhalten (Gier), zu Wegsehen/Leugnen oder auch aktiver Ablehnung bis hin zum Kriegführen (Hass/Verblendung).
Selbst hier wollte ich das „nicht-Wahrhaben“ nicht durch ein „-Wollen“ oder „-Können“ ergänzen; ich möchte nichts unterstellen, niemanden psychologisieren. Nur die Ursachen für Verhalten berühren. Und mich in der Tiefe verbinden mit dem, was uns als Menschen ausmacht und treibt. Und dies sagt nicht, dass die schädlichen Verhaltensweisen (Gier, Zorn, Verblendung) auf der relativen Ebene nicht benannt und auch bekämpft werden müssen!
… mit Gier, Hass, Verblendung, wie wir sie in unserem Tun, unseren Worten und Gedanken verbreiten …
Ich ließ mich im tiefen Austausch mit Dharma-FreundInnen überzeugen, dass die Geistesgifte zu benennen sind in einem Vers, in dem es um Bekennen, Reue und Reinigung geht. Wie das Zerstörerische in der ersten Zeile. Es gibt Gier, Hass und Verblendung nun einmal – mehr oder weniger ausgeprägt und ausgelebt im Denken, im Sprechen oder Handeln, doch in uns allen weckbar. Und die Hoffnung, diese Geistesgifte würden verschwinden, wenn wir nur alle genug meditierten oder Vergänglichkeit und AllverbundenSein wahrhaben würden, mag schon Verblendung sein. Das schmerzliche Anerkennen von zutiefst menschlichen Eigenschaften oder Möglichkeiten, die wir in intensiver Geistesschulung vielleicht als Lebenskräfte verstehen können (statt sie als Geistesgifte abzuspalten) und auf diese Weise in schöpferische Energie verwandeln lernen. Und auch diese stille Arbeit an uns selbst enthebt uns nicht der BürgerInnenpflicht, die Stimme zu erheben gegen das an unseren Mitmenschen, was Hass predigt, unersättlich ist und ideologische Dogmatik (und damit Ausgrenzung) schürt.
… und alle Auswirkungen davon…
Hier schließt sich der Kreis zum Karma-Gedanken: Nicht nur für das, was wir direkt hervorbringen oder erzeugen (s.o.), haben wir einzustehen. Sondern auch alles, was sich in einer vernetzten Welt an Schaden daraus entwickelt, ist im Blick zu behalten und auf uns rückzubeziehen. Wenn du deinen Unmut z.B. über eine politische Entscheidung in einem sozialen Medium postest – weißt du, was daraus wird?