Als Resonanz auf die – auch für mich – sehr bewegenden Texte Kathleens der vergangenen 5 Tage zum Reuevers schickte mir Undine Bißmeier den folgenden Text mit der Bitte, ihn hier zu veröffentlichen.
Dies ist der Text von Undine:

„Nur meine Meinung zum Reuevers:
Mit großem Interesse habe ich Kathleens Auseinandersetzung zum Reuevers verfolgt, und das Ganze hat mich inspiriert. Das Ich wurde darin zum Wir.
Ich habe bisher mit dem klassischen Vers der ZenPeacemakers praktiziert:

Alles ungelöste Karma, welches je durch mich begangen wurde, aufgrund meiner unbegrenzten Gier, meines Ärgers und meiner Verblendung, geboren aus meiner Sprache, meinem Körper und meinem Bewusstsein, bekenne und bereue ich.

Doch ist in dieser 2500 Jahre alten Version wirklich nur das „Ich“? habe ich mich gefragt. Ist diese Version wirklich so anders, als die moderne Fassung von Kathleen?
Für mich ist im ICH das WIR enthalten. Ich bereue als Teil des ungetrennten Ganzen.
Wenn ich wirklich mit allem verbunden bin, kann ich auch alle schlechten Taten, die je begangen wurden bekennen und bereuen. Die Taten sind nicht von mir getrennt, auch wenn sie in der Vergangenheit begangen wurden. Das spüre ich immer wieder ganz deutlich in Auschwitz, wenn ich mich als Teil der kollektiven Geschichte, sowohl der Täter, als auch der Opfer wahrnehme.
Und auch die Folgen von Gier, Hass und Verblendung, die heute entstehen, sind präsent. Die 3 geistigen Gifte bestimmen menschliches Handeln auf der ganzen Welt auf negative Weise. Gewalt in all ihren Formen herrscht sowohl auf der Nord als auch auf der Südhalbkugel.
Was kann ich als Person hier und heute tun?

Es gibt 3 Gegengifte, die Menschen fördern können: Großzügigkeit, aktive Anteilnahme und Weisheit. Diese gilt es zu kultivieren, um den Frieden in die Welt zu bringen.
Unsere Handlungen haben Folgen. Ich habe Verantwortung für meine Handlungen. Wer sonst? Und natürlich werden wir nie vollkommen gut handeln, so dass wirklich kein Schaden entsteht. Wir können uns jedoch bemühen. Eine Möglichkeit, unsere Unvollkommenheit zu erkennen, sind die 10 Gelübde oder Übungen der ZenPeacemakers:

Die Wechselbeziehung von Einheit und Verschiedenheit vergegenwärtigend und uns bemühend, die Orientierungen zu realisieren, engagieren wir uns in folgenden Übungen:
1. Ich bin mir bewusst, dass ich nicht getrennt bin von allem, was ist. Das ist die Übung, nicht zu töten.
2. Ich will zufrieden sein mit dem, was ich habe. Das ist die Übung, nicht zu stehlen.
3. Ich versuche, allen Geschöpfen mit Respekt und Ehrerbietung zu begegnen. Dies ist die Übung, nicht gierig zu sein.
4. Ich übe, mit meinem Herzen zu hören und aus meinem Herzen zu sprechen. Das ist die Praxis, nicht zu lügen.
5. Ich praktiziere, einen klaren Geist zu üben. Dies ist die Übung, mich keinen Täuschungen hinzugeben.
6. Ich bemühe mich in jedem Moment, alles zu akzeptieren, wie es ist. Das ist die Übung, nicht über die Fehler und Irrtümer anderer zu sprechen.
7. Ich übe zu sagen, was ich als Wahrheit erkenne. Dies ist die Praxis, sich nicht selbst zu erhöhen und anderen die Schuld zu geben.
8. Ich übe, alle Zutaten meines Lebens zu verwenden. Das ist die Praxis, nicht geizig zu sein.
9.Ich praktiziere, Leiden in Weisheit zu verwandeln. Das ist die Übung, mit Wut und Ärger achtsam umzugehen.
10.Ich gelobe, mein Leben als Instrument des Friedens zu leben. Das ist die Übung, sich der wechselseitigen Abhängigkeit von Einheit und Verschiedenheit bewusst zu sein.

Die Gelübde dienen der Orientierung und sind eng mit der Reue verknüpft. Indem ich mein Verhalten reflektiere und überprüfe, ob ich Schaden anrichte oder nicht, bekomme ich Impulse für konkrete Handlungsoptionen. Ich schaue nur auf meine Person und zeige nicht mit dem Finger auf andere, von denen ich denke, dass sie sich nicht richtig verhalten. Ich bereue, wenn mir etwas nicht gelungen ist und kann versuchen, es das nächste Mal besser zu machen.
Das Üben mit den Gelübden ist praxisorientiert. Nach der Reue kann ich versuchen, es im Alltag besser zu machen. Die Gelübde können als Achtsamkeitsglocken dienen und mir helfen, rechtzeitig zu erkennen, was ich da eigentlich gerade mache.
Z.B. „Nicht über die Fehler und Irrtümer Anderer zu sprechen. Jede Situation zu akzeptieren wie sie ist.“ ist etwas, worüber wir alle wahrscheinlich schon gestolpert sind. Gerade für AktivistInnen entsteht hier eine besondere, paradoxe Herausforderung. Ein Koan, wie wir im Zen sagen würden. Akzeptieren, was ist versus Missstände benennen und ändern wollen. Was also tun? Hier kommen wieder die 3 Grundsätze ins Spiel. Nicht-Wissen, Zeugnis ablegen und soziale Aktion.
Diese Praxis stärkt unsere Verbundenheit mit der Welt. Die Zenmeisterin Joan Halifax sagt darüber: “ Wir machen diese Übungen, weil wir lieben. Ohne Objekt.“

Für mich ist es hilfreich, im Reuevers bei der Formulierung mit ICH zu bleiben. Ich betrachte konkret mein Verhalten im Alltag. Halte ich die Gelübde ein oder nicht? (Dabei kann es hilfreich sein, eine Zeitlang ein bestimmtes Gelübde mit sich zu tragen und zu erforschen.) Im Alltag muss ich der Wahrheit ins Gesicht sehen. Ich kann entdecken, wer ich wirklich bin. Darin steckt eine gewisse Radikalität. Ich kann mich nicht wegducken, sondern bin mir meiner Verantwortung bewusst. Nur ich kann Verhalten, das ich bereue ändern. Niemand sonst. Ich darf es beim nächsten Mal besser machen. Oder es wenigstens versuchen.
In den Übungen zu „versagen“ bedeutet nicht, schuldig zu sein oder eine Sünde begangen zu haben. Es ist wichtig, dass wir freundlich zu uns sind und uns vergeben. Auch Vergebung ist Basis für Frieden. Wenn wir uns selbst vergeben können, können wir auch anderen vergeben und müssen sie nicht beschuldigen.
Ich bin ein WIR und nicht getrennt von der Welt. GLEICHZEITIG bin ich ein ICH und übernehme persönlich die Verantwortung für mein Verhalten und handle daraus.

Danke, Kathleen für den Anstoß, auf den Reuevers zu schauen. Und wie wunderbar, der Demokratie sei Dank ;), dass verschiedene Perspektiven und Meinungen sein dürfen!“