Versuch einer Beschreibung – Teil 1
Es war zwar eine kurze Zeit, und wir waren (leider nur) 5 Menschen, die vom 23. bis zum 25. Mai zusammengekommen waren, aber es war eine bewegende und intensive gemeinsame Zeit. Die Planungen, ein Retreat im Süden Deutschlands an diesem Ort zu halten, hatten etwa ein Jahr zuvor begonnen. Der Ort beziehungsweise die Orte, an denen wir waren, kristallisierten sich heraus nachdem sich herausstellte, dass unsere ursprüngliche Absicht, das Retreat in Dachau zu halten, sich nicht realisieren ließen.
So wurde der Tannenhof in Buch am Buchrain (https://seminarhaus-tannenhof.de/) unser Ausgangs- und Aufenthaltspunkt, etwa eine Stunde von Moosburg entfernt, wo wir 5 (Reiner, Dorle, Dirk, Stephanie und Beate) am Ort des ehemaligen Kriegsgefangenen-, späteren Internierungslagers und zuletzt Heimatvertriebenen- und Flüchtlingslagers Stalag VIIA Moosburg (https://stalag-moosburg.de/ und https://www.moosburg.org/info/stalag/index.html) am Samstag, dem 24. Mai im Rahmen einer Führung und in Zeremonien Zeugnis ablegen wollten.
Erweiterter Hintergrund war der Gedanke, mit unserer Widmung „Erinnern – Verbinden – FriedeSein“ Teil des Gedenkens an die Befreiung der Lager der NS-Zeit vor 80 Jahren zu sein, an einem Ort, der heute in seinem Erscheinungsbild kaum noch an die Zeit erinnert. Nach und nach, und mit dem Zuzug von Heimatvertriebenen nach 1948 verschwand die Lagerstruktur und wich normaler Wohnbebauung, wodurch die sogenannte Neustadt nun voll integrierter Stadtteil von Moosburg ist. Die Stadt hat sich das Lager mit seiner Geschichte einverleibt.
So trafen Dorle, Dirk und ich bereits am 22.05. am Tannenhof ein, um in Ruhe die Vorbereitungen für unseren Aufenthalt dort zu treffen. Zu unserem bedauern hatten bis kurz vor Beginn alle vier angemeldeten Menschen (außer uns fünf vom Team) abgesagt, so dass wir letztlich unter uns waren. Selbstverpflegung als Samu hatten wir integriert, so dass wir die Kosten sehr niedrig halten konnten.
Tag 1: Am Freitag belegten wir in unserem kleinen Kreis den Tempel des altehrwürdigen Seminarhauses und stimmten uns mit Meditation, StilleZeit und Council auf die vor uns liegenden Tage und unsere selbstgewählte Absicht „Erinnern – Verbinden – FriedeSein“ ein.
Ein Beitrag, den ich leisten konnte, war, eine Verbindung zwischen den 3 Grundsätzen der Zen Peacemaker „Nicht-Wissen – Zeugnis ablegen – Liebevoll Handeln aus dem, was durch Nicht-Wissen und Zeugnis ablegen entsteht“ und unseren drei Absichten herauszustellen.
Dirk hatte die Planung der Mahlzeiten einschließlich Küchenaufsicht übernommen und ich (Reiner) mich zur Gesamtleitung bereit erklärt.
Stephanie und Beate hatten im Vorfeld Planung- und Orga-Aufgaben übernommen, Führung und Lebensmittel organisiert sowie mit ihren PKWs die Fahrdienste. Dorle trug mit Übungen aus ihrer beruflichen Kompetenz als Achtsamkeitslehrerin und Traumatherapeutin zu unserem physischen und seelischen Wohlbefinden bei.
In der Zeit der Vorbereitung hatte ich neben der Absicht, Namen von Opfern rituell zu verlesen, Dirks Hinweis auf ein Buch aufgenommen, das den Weg von 301 gleich zu Beginn des Kriegs in Polen festgenommenen jüdischen Soldaten, die nach Moosburg und von dort zur Vernichtung ins Lager Majdanek transportiert wurden. Ein einziger von ihnen überlebte und trat 1961 im Prozess gegen Adolf Eichmann auf. Ich erwarb dieses Buch als E-Book und fand darin von jedem einzelnen der Kriegsgefangenen und späteren Opfer die Personal-/Karteikarten, die von ihnen in Moosburg angelegt waren. Ich scannte dreißig dieser Karten ein, druckte sie aus und laminierte sie ein, um auch draußen damit unbeschadet unterwegs sein zu können. Außerdem hatte ich, dem Beispiel der ZenPeacemakers in Auschwitz folgend, eine Holzkiste besorgt, in der die Karten transportiert, aufbewahrt, und in einem späteren Ritual am Samstag zum weiteren Einsatz kommen sollten.
Nach unserer Einstimmung im Tempel legte ich diese 30 Karten umgedreht auf dem Boden aus und forderte uns auf, jeweils eine dieser Karten aus dem Stapel zu nehmen. In diesem Moment nahmen wir gewissermaßen ein Schicksal zu uns. Dies ist die karte von Markus Ascher, die ich zog und mit der ich bis zum Samstagnachmittag (und darüber hinaus) unterwegs war und noch immer bin:
In Stille schauten wir die Karten an, und in der Runde verlasen wir die Daten, die auf den Karten vermerkt waren. So erhielten wir jede:r ein Bild von dem Menschen hinter den Fakten, die uns entgegen kamen. Die Originalkarten werden übrigens im Jüdischen Ringelblum-Archiv in Warschau aufbewahrt. Wir nahmen uns Zeit, dies wirken zu lassen, und nach dem anschließenden Abendessen konnten wir den Tag am Abend mit einem abschließenden Council und einer Meditation beenden.
Teil 2 folgt…
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Reiner Seido