Zehn Tage lang waren die rund 20 Pilgerinnen und Pilger auf dem „Kreuzweg für die Schöpfung“ unterwegs, um ein gelbes Holzkreuz aus einer vernichteten Dorf-Kapelle im rheinischen Braunkohle-Revier an den Stacheldraht-gekrönten Zaun einer Militärbasis in der Südeifel zu tragen. Hier ein wenig zum Hintergrund von der Website des Kreuzweges:
„Wie das “Gorlebener Kreuz” nach Lützi kam: Im Sommer 2021 stiftete das “Gorlebener Gebet“, eine Gruppe aus dem Anti-Atom-Widerstand im Wendland, ein Kreuz für Lützerath, Ort des Widerstands gegen Braunkohle und andere fossile Energien. Der „Kreuzweg für die Schöpfung“ trug das gelbe „Gorlebener Kreuz“ über 500 km nach Lützerath. Es fand dort seine Heimat in der Eibenkapelle. Diese Heimat hat es am 11. Januar 2023 verloren, als die Polizei auf Geheiß von RWE und Politik Lützerath räumte. Kurze Zeit später vernichtete RWE den ganzen Ort.
Kreuzweg von Lützerath nach Büchel: Doch das „Gorlebener Kreuz“ entging der Zerstörung und ist so zum Zeugnis geworden für das Leben in Lützerath – und dessen Vernichtung. Als Zeugnis und Mahnung, aber auch als Zeichen der Hoffnung ging dieses Kreuz im Juli 2023 wieder auf Pilgerreise: Zum Fliegerhorst Büchel, dem einzigen verbliebenen Standort amerikanischer Atomwaffen in Deutschland.
Für ein gutes Leben für alle in Fülle: Die Schauplätze wechseln, doch das Ziel ist das gleiche: Die Zerstörung unseres “gemeinsamen Hauses” (Papst Franziskus), dieser Erde, zu stoppen. Dazu wollten wir mit dem Kreuzweg einen Beitrag leisten. Er war offen für alle, unabhängig von religiöser Überzeugung und spiritueller Praxis – eingeladen waren alle, die sich einsetzen für die Bewahrung der Schöpfung, für Frieden und Gerechtigkeit, für ein gutes Leben für alle in Fülle.“
Vom 7. bis 16. Juli war die Gruppe unterwegs. Unser Verein hat den Aufruf mitgetragen und die Organisation des Kreuzwegs finanziell unterstützt.
An der letzten Etappe und der Abschlusskundgebung am Sonntag, 16.7., konnte ich persönlich teilnehmen und unsere solidarischen FriedensGrüße überbringen. Das war auch ein schöner Anschluss an unsere Präsenz während des Achtsamkeitstages 30.4., den Peacemaker-Weggefährtin Svenja Wildflower Hollweg und andere aus der belgischen Sangha von Frank de Waele Roshi organisiert hatten; wir berichteten. So verweben sich die Fäden der Frieden-Stiftenden miteinander.
Am Zaun der Militärbasis bei Büchel haben kirchliche Widerstandsgruppen ein kleines Stück Wiese gekauft, auf der – direkt an der viel befahrenen Bundesstraße – der Widerstand gegen Atomwaffen dauerpräsent ist. Die lokalen Engagierten berichten von viel Zustimmung, aber auch Zerstörungen auf dem Gelände. Während wir die Andacht feiern und das gelbe Kreuz „einpflanzen“ (es soll dauerhaft hier stehen bleiben), hupen viele der vorbeifahrenden Autos; immer wieder kursiert die Frage: War das jetzt zustimmend-aufmunternd oder feindselig?
Eine der Frauen, die im Widerstand ihr Zuhause gefunden hat und die sich Schildkröte nennt, hielt eine feurige kurze Rede für die Leute aus Lützerath, die auf dem Kreuzweg dabei waren. Sie hat mir den Text, den sie nach eigenem Bekunden in der letzten Pilgernacht verfasst hat, im Nachgang geschickt, und ich möchte ihre Stimme hier selbst erklingen lassen:
zur Übergabe des gelben Kreuzes am Sonntag 16. Juli 2023 auf der Friedenswiese, Fliegerhorst Büchel
In Lützi haben wir versucht, gemeinsam mit unzähligen anderen Bewegungen das kapitalistische, rassistische, klassistische, ableistische, patriarchale System und die Gewalt, die es auf uns alle hier und überall auf der Welt ausübt, zu überwinden.
Doch wir haben nicht nur RWE, Polizei, Militär, Staat, den Kapitalismus, das Patriarchat kritisiert. Wir haben auch auf uns selbst geschaut. Welche Gewaltformen und Diskriminierungen von uns als vorwiegend weiße, westeuropäische, privilegierte Bewegung ausgehen. Wir haben uns gefragt, wie wir alle, die verschiedenen Gruppen und wir als einzelne Menschen, selbst tagtäglich Gewalt ausüben.
Wir stellten fest, dass wir alle rassistische, ableistische, binäre Verhaltensweisen integriert haben und uns entsprechend verhalten.
Wir beobachteten, wie auch in Lützi männlich gelesenen Menschen automatisch mehr Autorität, Kompetenz, Wissen zugetragen wird und wie selbstverständlich sich weiße alte und junge Männer die Macht einfach nehmen.
Das war und ist sehr schmerzhaft. Für diejenigen, die von der Gewalt Betroffen sind und für diejenigen, die sie ausüben.
So war Lützi, wie die Welt, ein Ort voller Diskriminierungen. Aber im Gegensatz zur Welt war es ein Ort der Begegnung und des Austauschs zwischen ganz unterschiedlichen Menschen und Gruppen. Und in Lützi wurde es – zumindest für Menschen die länger da waren – zur Gewohnheit, über eigene Privilegien und ihre unbeabsichtigten Wirkungen nachzudenken, sie zu benennen in kleinen Bezugsgruppen, im Plenum, in unseren Pressemitteilungen.
Das erscheint klein im Vergleich zu unseren großen Idealen: Die Überwindung des kapitalistischen, rassistischen, kriegshungrigen, patriarchalen Systems und seiner Gewalt.
Und natürlich war Lützi ein Ort des dauernden Scheiterns an unseren Idealen und Zielen. Doch Lützi war vor allem der Raum, wo es uns gelungen ist, es jeden Tag neu zu versuchen. Und das ist einer der Gründe, weshalb Lützerath weiterhin lebt, so viel Kraft hat, so viele Blüten und Früchte trägt.
Das ist das, was wir Euch mit diesem Kreuz mitgeben: Versucht das Unmögliche: die Überwindung dieses ungerechten, kapitalistischen, kriegshungrigen und patriarchalen Systems.
Denn es geht nicht darum, dass es gelingt – es geht darum, es zu versuchen.
Anschließend wurde das nachdenklich-poetische Widerstandslied „Ihr könnt nicht gewinnen“ von Findus abgespielt.
Es war schmerzhaft, bewegend und kostbar, dabei zu sein: Die deutsche und amerikanische Flagge über einem gespenstisch in eine weite grüne Landschaft gepflanztes, Stacheldraht-umzäuntes Gelände wehen zu sehen; Idylle und Bedrohung wieder einmal so nah beeinander zu wissen; das Unwohlsein der jungen Soldaten zu spüren, die ihren Dienst beim Bewachen des Tors verrichten; die Veteranen des Widerstands – zum Teil mit Rollatoren, Krücken und in Rollstühlen – wahrzunehmen und ihnen zuzuhören; die Leidenschaft, Trauer und Verzweiflung der Jüngeren mitzubekommen; Teil der Standhaftigkeit zu sein – der Verkörperung von sich-Kümmern um die Welt, von Nicht-Aufgeben jenseits der Hoffnung.