Der Herbst im Haus Engl ist bezaubernd. Wie wenn der Oktober uns den überheißen Sommer und die Dramatik der Klimakrise vergessen lassen wollte, beglückte er uns in den fünf Retreat-Tagen mit allen Facetten seiner Jahreszeit: Kräftige Sonne, strahlende Farben – Grün, Rot, Braun, Gold -, milde Dunst-Luft, sanfter Regen, Walnuss-Hagel, voller Mond und tiefe Sternenhimmel, leuchtende Dämmerungen morgens und abends. Und diese satte, klare ErnteDank-Stille, die die Fülle des Sommers noch in sich trägt…
Zum sechsten Mal fand das ZenPeacemaker-Retreat nun in der zweiten Oktober-Woche im Haus Engl statt. Eingeladen und geleitet werden wir von Roshi Barbara Salaam Wegmüller (Peacemaker-Gemeinschaft Schweiz) und Gastgeber Piet Essens (diesmal auch als frischgebackener Dharmaholder). Schon eine schöne Tradition für deutschsprachige ZenPeacemaker, Interessierte aus anderen Traditionen und Meditations-„Neulinge“. Eine jährlich frisch polierte Perle im Kalender für viele von uns Wiederkehrenden.
Diesmal stand die Woche unter dem Titel „Das üben, was heilt. Das Nähren der hungrigen Geister in uns selbst und überall, und die Mala-Praxis der drei Grundsätze“.
Wir konnten selbst spielerisch und kreativ tätig werden – aus einer Schatzkiste mit Perlen und Schnüren wählten wir eine je einzigartige Kombination von Kostbarkeiten aus, um unsere persönliche Kette (Mala) aufzufädeln, während Roshi Barbara uns die Übung damit erläuterte:
Wie wir mit der Perle der aktuellen Situation, für die wir Inspiration oder eine Lösung suchen, mit den Perlen der drei Grundsätze vom NichtWissen, Zeugnis-Ablegen und Handeln unsere Lage ergründen und mit unserer inneren Weisheit erforschen, bis wir, eingetaucht in Liebe (die letzte der fünf besonderen Perlen auf der Mala), wissen werden, was zu tun ist. – Dieses schöne Upaya (hilfreiche Mittel), die Mala-Praxis der drei Peacemaker-Grundsätze, verdanken wir Roshi Egyoku vom Zen Center Los Angeles.
Und die Hungergeister. Es gehört fundamental zur Praxis der ZenPeacemaker, sich dem Leiden, den Hilferufen und Klagen zu öffnen – in der Welt und (was oft noch schwieriger ist) in uns selbst. Der Mangel, der ungelinderte Schmerz, das Unterversorgte – das, was wir nicht gerne sehen und spüren. Deshalb haben diese Phänomene in den Bildern buddhistischer Traditionen zum Teil drastische und furchteinflößende Personifizierungen angenommen – als Höllenwesen, Dämonen, Schreckensgestalten mit mangelernährten Dickbäuchen und dürren Hälsen, durch die keine Nahrung passt… – Meist fällt es uns noch leichter, barmherzig und hilfsbereit zu anderen zu sein, die wir leiden sehen. Doch wie halten wir es mit den Hungerwesen, dem zu-kurz-Gekommenen in uns selbst? – Barbaras kurze Einführung in die Liturgie der ZenPeacemakers, das „Gate of Sweet Nectar“ (Tor des süßen Nektars), eröffnet eine Perspektive, wie wir hungrige Geister einladen statt verdrängen, uns selbst als Mahlzeit darbringen und mit diesem „Dämonen-Füttern“ Frieden stiften können.
Fünf Tage im Schweigen, im Sitzen und im sanften Bewegen (dank täglicher Atem- und Körperübungen mit Eva, dem Samu im Haus und weiten Spaziergängen). Dharma-Vorträge, Mala-Praxis, Austausch im Kreisgespräch. Einzelgespräche mit Roshi, Eigenzeiten, Mitarbeiten im Haus. Der klare Ablauf, freundlich für Körper, Geist und Seele, unterstützt den Prozess, auf den jedeR von uns 13 Teilnehmenden sich in dieser Zeit einlassen kann.
Für mich persönlich verwoben sich die Herbsterlebnisse und ein tiefes Gefühl von ErnteDankbarkeit an diesem Ort aufs Feinste mit den Erfahrungen im Retreat-Raum. Der hungrige Geist des Gesehen-Werden-Wollens schaukelte neben mir im Sonnenschein, sammelte mit mir Walnüsse auf, fand Gehör im Kreisgespräch und im Austausch mit Barbara. So ergab sich mein Essenz-Haiku dieser Tage ganz leicht:
Im nächsten Jahr findet das Retreat vom 12. bis17. Oktober statt und dreht sich um Mut und Herzensgüte. Mein Wunsch ist, dass wir als Peacemaker-Gemeinschaft Deutschland e.V. gemeinsam mit Piet, Moni und dem ganzen wunderbaren Team vom Haus Engl dieses Retreat zu einem jährlichen Treffpunkt unserer Community machen – und zu einem nahrhaften Landeplatz für alle, die sich von der Praxis der ZenPeacemaker berühren lassen.
Ich freue mich darauf. Und auf den nächsten Herbst im Engl.