Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten, ich weiß nur von manchen unter euch, wie ihr diese Tage des Übergangs „zwischen den Jahren“ verbringt – diese schwebende Zeit, die von alters her das Angebot von Stille, Besinnung und Durchlässigkeit mit sich bringt. Vielleicht wendet ihr auch Kopf und Herz hin und her zwischen Rückschau auf das vergehende Jahr und Ausblick auf das neue. Wie viel Freude, wie viel Schmerz, wie viel Sorge, Dankbarkeit und Gleichmut ist jeweils dabei?

Neben vielen Aktivitäten hat ein stiller Prozess mein Jahr 2024 geprägt, von dem ich euch heute und in den nächsten Tagen ein wenig erzählen möchte. Es passt gut in diese Übergangszeit, denn es geht um Reinigung – um den traditionsreichen Reue-Vers, den wir auch bei den Zen-Peacemakern zu vielen Anlässen, bei Retreats und auch an unseren BesinnungsTagen rezitieren.

Von Herzen danke ich allen, die mir in diesem intimen Wandlungsprozess zugehört und im Austausch Resonanz gegeben haben, insbesondere Johannes Fischer, Sabine Müller, Ursula Richard und Dr. Ute Sita Volmerg. Dorle Lommatzsch danke ich für die Ermutigung, aus meinen Gedanken eine Blogbeitragsreihe zu machen.

Der Reue-Vers* als MenschheitsBekenntnis

Während der Meditation pflege ich im Stillen einige Mantren zu rezitieren, darunter den „Reue-Vers“. Hier die Version, wie ich sie bei den ZenPeacemakern gelernt habe (bzw. eine leichte Abwandlung davon):

Alles ungelöste Karma, das je durch mich verursacht wurde

mit meiner anfanglosen Gier, meinem Ärger und meiner Verblendung,

geboren aus meinem Körper, meiner Sprache und meinem Bewusstsein

bekenne und bereue ich.

An einem Morgen im Mai 2024 erschien dieser alte Vers in meinem Inneren plötzlich nicht mehr im Singular, sondern im Plural, dazu in einigen Abwandlungen:

Alles ungelöste Karma, das wir je verursacht haben

mit unserer anfanglosen Gier, unserem Ärger und unserer Verblendung,

geboren aus unseren Körpern, unserer Sprache und unserem Bewusstsein,

bekenne, bezeuge, bereue und löse ich JETZT.

Es stellte sich unmittelbar ein Stimmigkeitsempfinden ein, das eine innere Weite, Lösung/Entspannung von Muskulatur und Tränen der Befreiung mit sich brachte. Ein weitaus stärkeres Echo, als der Reue-Vers bisher in der ich-Form bei mir ausgelöst hatte. Es war das Empfinden, nicht nur für individuelle „Fehler“ einzustehen, sondern auch für das, was wir als Spezies Mensch dem lebendigen Planeten und einander angetan haben und weiter täglich antun.

Der Wechsel ins „bekennende WIR“ ist kein mich-in-der-Menge-Verstecken. Es bringt zweierlei mit sich, was meine unmittelbare körperliche Reaktion spiegelt: ein mich-verbunden-Wissen auch im Schädlichen (= nicht in die Trennung gehen, wenn es um Unangenehmes geht), und die Vergrößerung der Dimension, um die es geht und gehen muss, wenn Reue zu zeigen ist.

Mittlerweile – nach Monaten des Rezitierens und wirken-Lassens dieser Bewegung, die mir einen traditionsreichen buddhistischen Vers ganz neu zugänglich machte; nach einigen Gesprächen darüber mit vertrauten Menschen, nach mehreren Zwischenstadien und experimentellen Versionen – hat der Vers diese Gestalt angenommen, mit der ich nun bereits seit einigen Wochen meditiere:

„Alles Zerstörerische, das wir als Menschheit* in die Welt gebracht haben

mit unserem Nicht-Wahrhaben von Vergänglichkeit und AllverbundenSein,

mit Gier, Hass, Verblendung, wie wir sie in unserem Tun, unseren Worten und Gedanken verbreiten,

und alle Auswirkungen davon

erkenne ich an. Ich stelle mich in die Mitverantwortung.

Mein Herz öffnet sich dem Leiden, das daraus entstanden ist und täglich neu entsteht.

Ich will JETZT, immer mehr, Teil der Lösung sein.“

( * hier mitgedacht: „als industrialisierter Teil der Menschheit“ ).

 

Eine ziemliche Veränderung – und doch ist mir die Botschaft des Reinigungs- und Reue-Verses so nah wie nie zuvor.

In den nächsten zwei oder drei Beiträgen dieser Blogsequenz möchte ich in den kommenden Tagen ein wenig Einblick geben in diese Wandlung und in einige Bedeutungsfacetten.