„Halt! Sie dürfen hier so nicht rein.“ Der Security-Mann am Eingang zum Platz der Vereinten Nationen nimmt seinen Job ernst. Er schützt das DemokratieFest, das an diesem Samstag im Bonner Bundes- und UN-Viertel stattfindet, um den 75. Geburtstag des Grundgesetzes zu feiern.

Ich bin gleich doppelt verdächtig: Mit einem mittelgroßen Rucksack, und einem Demo-Schild um den Hals. Er winkt mich zur Seite, während er zugleich ein Auge auf die an mir vorbei strömenden Menschen versucht zu halten, um weiterhin Autorität als scharfer Beobachter am Eingang auszustrahlen.

Sie dürfen mit dem Schild nicht hier rein“, wiederholt er, „und öffnen Sie bitte den Rucksack.“

Ich nehme das Schild ab und halte es ihm hin: „Darf ich das Schild mit dieser Botschaft wirklich nicht tragen?“ frage ich zurück und lasse ihn das Pappschild in A3-Größe lesen. „Demokratie = Die Kraft des WIR“ steht darauf in bunten Wachsmalkreide-Farben. Er liest fahrig, dann lächelt er: Ach so, Sie sind dafür. Ich dachte, Sie wären AfD!“- Nein“, lache ich zurück; „im Gegenteil.“ Der Ordnung halber schaut er doch noch kurz in meinen Rucksack, den ich bereitwillig öffne; es ist ihm nun schon fast ein wenig peinlich. Aber ich möchte ihn bestätigen und sage: „Ich finde es gut, dass Sie hier aufpassen. Wir haben wirklich etwas zu schützen. Vielen Dank!“

Wir schauen uns kurz in die Augen, in guter Absicht; in diesem kurzen Moment ist ein Kontakt entstanden – zwischen diesem Mann, der vermutlich aus einer anderen, vielleicht orientalischen Kultur kommt und mit seiner Person, seinem Körper, seinem Arbeits-Ethos, seiner Aufmerksamkeit die Demokratie dieses Landes zu schützen hilft, und mir, die DEMOKRATIE auf ihre Weise übersetzt um den Hals trägt und mit Trinkflasche, Sitzhocker und „Die-In“-Ausrüstung auf dem Weg zum Rheinufer ist, zu dem, was Extinction-Rebellion zu diesem Fest beitragen wird.

Als ich die geschützte Bannmeile durchquert habe und am anderen Ende wieder die Schutzsperre durchquere, höre ich schon die Trommel schlagen, und dann sehe ich sie: Die Red Rebels. Neun von Kopf bis Fuß rot gekleidete Gestalten mit weiß geschminkten Gesichtern.

Sie setzen sich gerade langsam in Bewegung, stumm, hintereinander schreitend; die Ellbogen in die Seite gestützt, von den waagerecht ausgestreckten Unterarmen wehen rote Bänder.

Der Trommler geht voraus; ich schließe mich dem Zug an.

Ich frage mich, ob der junge Mann in Schwarz und mit getönter Sonnenbrille, der mit mir das Ende des Zuges bildet, zur Performance gehört; er verteilt Info-Zettel zu der Aktion. Ich frage ihn. Nein, er ist Security. Schützt diesen meditativen Marsch, der sich Richtung Rheinufer bewegt.

Die Trommel in Abständen; dazwischen Stille.

Die vielen Festbesucher, die uns überholen und entgegenkommen. Manche schauen verstohlen und eilen vorbei, andere lassen sich einen Zettel geben, manche fragen flüsternd – die Security, oder auch mich, die zwar mitgeht, aber visuell nicht dazugehört. Die Kinder haben weniger Scheu; lauthals fragen sie: „Papa, was ist das?“ Und Papa antwortet, zum Beispiel: „Das sind Menschen in roter Kleidung, die langsam gehen.“ Schön, denke ich: Einfach sagen, was ist!

An der Rheinpromenade, dem von Extinction Rebellion angemeldeten und polizeilich genehmigten Demonstrationsplatz, liegen Menschen auf dem Pflaster. Bedeckt von weißen Tüchern, mit Schildern daran: „Flut“, „Hitze“ steht darauf. Das Die-In, das zur Demonstration gehört: Die Klima-Katastrophe, die wir Menschen größtenteils zu verantworten haben, tötet. Schon lange. Jetzt. In vielen Teilen der Welt.

Ich lege mich dazu, ziehe das große Papier über meinen Körper, auf dem steht: „IMMER MEHR war einfach ZUVIEL. Spezies Mensch: ausgestorben.“ Thomas ist auch angekommen, klemmt sein „Leichentuch“ an die Absperrung: „Gestorben am Broken-Heart-Syndrom. Ursache: Ignoranz“.

Da liege ich mit 20 anderen auf den kalten, harten Steinen des Gehwegs, sehe durch halb geschlossene Augen und durch das Tuch, das ich mir über das Gesicht gelegt habe, die grünen Baumkronen und den Himmel, blau, kleine weiße Wolken; die Blätter bewegen sich im sanften Mai-Wind. Wie schön das ist, über mir.

Und spüre, wie der Schmerz, die Bitterkeit dieser Weltentwicklung mir durch den kalten Stein von unten in den Leib kriechen.

Dann, eine sanfte Berührung an meiner Hand: Einer der roten Bänder, die die Red Rebels an ihren langen Handschuhen tragen, streift mich. Die Bezeugenden der Auslöschung umkreisen die „Toten“, knien nieder, senden mit ihren Händen und Gesten Ruhe und Frieden über die leblosen Körper aus. Eine Welle von Wärme, Mitgefühl, HerzensTrauer überflutet mich, zwischen kaltem Stein und bewegtem Himmel.

Durch die meditative Musik, die dieses Ritual begleitet, erklingt eine sanfte, doch entschlossene Stimme: „We rise, we rise up – wir stehen auf.“

In Zeitlupe erheben wir uns, legen Tücher und Sterbegründe beiseite, stehen im Kreis mit nach außen gewandtem Gesicht und halten schweigend Transparente mit dem Text „§20a: Lebensgrundlagen schützen.“

Das ist der Bezug zu dieser Grundgesetz-Geburtstagsfeier – in § 20a des Grundgesetzes steht seit 2002 als Staatsziel:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Still stehen wir so eine ganze Weile; die Red Rebels und andere mit-Demonstrierende mit erhobener Faust. Als die Roten sich aufreihen und den Rückweg antreten, schließe ich mich wieder an; Gehmeditation inmitten eines trubeligen Volksfestes – genau das Richtige!

Den Menschen ins Gesicht sehen, die – meist freundliche – Irritation, das Innehalten genießen, die respektvollen Fragen beantworten. Die meisten kennen Extinction Rebellion und nicken mit Wohlwollen. Das tut gut.

Als die Red Rebels am Rande des Festgeländes treppab in der Theatergarderobe verschwinden, verneige ich mich und kehre mit einem halben Flammkuchen zu Thomas zurück, der auf einem Mäuerchen im Schatten auf mich wartet. Salz und Würze – köstlich auf der Zunge.